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Mauerbilder

Die Radierung ist eine faszinierende und traditionsreiche Kunstform, die seit Jahrhunderten von Künstlern genutzt wird, um eindrucksvolle Kunstwerke zu schaffen. Dieser Prozess erfordert Geduld, Präzision und ein tiefes Verständnis für die Materialien und Techniken.

Kommentar

  • Wolfgang Friedwagners „Berlinzyklus“

     

    Vor etwa 35 Jahren haben meine Frau und ich Wolfgang Friedwagner kennen gelernt. Aus dieser Zeit datiert auch die Arbeit, die wir als erste erworben haben. Er begegnete uns damals als Zeichner seiner Innviertler Heimat. Exakt stellte er dar, was auch in der Natur zu sehen war. Seine Thematik reicht längst vom Innviertel bis nach Venedig, Florenz, Wien, Prag und eben auch bis nach Berlin. Über die Erweiterung der Palette seiner zeichnerischen und malerischen Techniken zu sprechen, ist müßig. Jeder Besucher der Ausstellung kann sich alleine durch Betrachten der Bilder davon überzeugen.

    Gesprochen werden soll aber über den Inhalt der ausgestellten Arbeiten, und das aus der Perspektive eines alten West-Berliners, der den wesentlichen Teil seines aktiven Lebens in der ummauerten Stadt verbracht hat.

    Das wichtigste Bild im Berlin-Zyklus ist für mich die leicht verfremdete Zeichnung der Glienicker Brücke. Diese überquert die Havel und bildet die Grenze zwischen Berlin und Potsdam. West-Berliner durften diese Brücke schon seit 1952 nicht mehr passieren, obwohl sie im Sprachgebrauch der DDR - unfreiwillig ironisch - den Namen „Brücke der Deutschen Einheit“ trug. Nur wenige erinnern sich daran, dass die Bürger West-Berlins im Sinne der 3-Staaten-Theorie des Ostens und um die These von der selbständigen politischen Einheit West-Berlins zu bestätigen, schon seit 1952 eine Sonderbehandlung erdulden mussten.

    Der Verkehr zwischen Ost-Berlin und West-Berlin war bis zum Mauerbau am 13. August 1961 frei. In die DDR durften West-Berliner aber bereits seit 1952, anders als westdeutsche Bürger, bis zu den Passierscheinabkommen Anfang der 70er Jahre nicht mehr reisen.

    Die Brücke war der Sehnsuchtsort der Berliner. Selbst nach dem Passierscheinabkommen war sie nicht passierbar. Lediglich Fahrzeuge der alliierten Militärmissionen durften sie benutzen. In aller Welt wurde sie berühmt durch die drei Agenten- und Häftlings-Austausch-Aktionen. Die „Brücke der Spione“ wurde sie deshalb auch genannt. Vielleicht war es die Dialektik zwischen der scheinbar freien, grenzenlosen Wasserfläche unter der Brücke und den Sperren auf ihr, die die Phantasie beflügelte.

    Die Havel teilt an dieser Stelle „Preußens Arkadien“. Die Preußischen Schlösser mit ihren wunderschönen Parks liegen auf beiden Seiten des Flusses. An jedem Wochenende besuchten Tausende die Anlagenteile, die sich im Westen (politisch, nicht geografisch) befinden. Sie alle standen dann auch am Ende oder am Anfang - ganz wie man will - der Brücke und starrten sehnsuchtsvoll in Richtung Potsdam.

    Am Abend des 10. November 1989 kam die Nachricht über den Rundfunk, dass nunmehr auch die Glienicker Brücke geöffnet worden sei, allerdings nur für DDR-Bürger und noch nicht für Bürger aus dem „Westen“. Das hatte zur Folge, dass innerhalb von zwei Stunden sich zehntausende (vielleicht sogar hunderttausende) West-Berliner Bürger an die Brücke begaben und dort die DDR-Bürger begrüßten, die passieren durften. Teilweise versuchten sie auch, mit dem Strom der Rückreisenden zusammen Potsdamer Gebiet zu erreichen. Gelegentlich gelang es. Auch wir gehörten zu denjenigen, die plötzlich auf der Potsdamer Seite der Brücke standen, allerdings voller Angst, weil zu dieser Zeit noch unklar war, ob man ungefährdet in den Westen der Stadt zurückkehren könne. Auch das gelang. Im Übrigen gibt es Bekanntschaften, die an diesem Abend begannen und heute noch andauern.

    Wenn es also ein Symbol für die Wiedervereinigung gibt, dann ist es für uns die Passierbarkeit dieser Brücke.

    Zum Zyklus gehören zwei Zeichnungen, ausgewogen nach Ost und West, einmal des Bahnhofs Friedrichstraße (Ost) und zum anderen des Straßenzuges Tauentzienstraße/Kurfürstendamm (West). Beide knüpfen an Friedwagners Tradition der Schwarz-Weiß-Zeichnung an, haben nichts Statisches, zeigen vielmehr die Bewegung in dieser Stadt Berlin. Das gilt auch für die restlichen Veduten aus dieser Serie: Kleines Teehaus in Potsdam, die S-Bahnstation am Mexikoplatz, der Wittenbergplatz und der legendäre Palast der Republik mit dessen Abriss im Jahre 2006 begonnen wurde. Die Oberbaumbrücke – Berlins schönste Brücke – präsentiert sich als gezeichnete Baustelle.

     

    Alle Bemalungen der Berliner Mauer sind bis zum Mauerfall ausschließlich auf westlicher Seite erfolgt. Auf östlicher Seite war die Mauer kahl. DDR-Bürgern war es bekanntlich verboten, sich der Mauer auch nur zu nähern. Der Versuch war zwangsläufig mit einer Verhaftung verbunden. Regelmäßig führte er zur Verhängung von Freiheitsstrafen wegen versuchter Republikflucht. Soweit also, wie aus den Gebäuden im Hintergrund zu entnehmen ist, auch teilweise die östliche Seite der Mauer abgebildet wird, ist die Bemalung erst nach dem Mauerfall erfolgt.

    Friedwagner nähert sich der Thematik mit einer veränderten Formen- und Farbensprache. Beides wird ruppiger und ausdrucksstärker. Er hat damit die adäquaten Stilmittel gefunden, um den Geist dieser Stadt wiederzugeben. Berlin ist nicht immer feinsinnig, nicht charmant (wie z.B. Wien). Berlin war und ist gekennzeichnet durch seinen Überlebenswillen, der sich auch in gelegentlich groben Formen, insbesondere aber im Sprachwitz, in einer Art Galgen-Humor und in einem Bekenntnis zu Utopien manifestiert.

    Genau das hat Friedwagner in diesen Bildern getroffen. Offenbar ist er während seines Berlinaufenthaltes vom Geist dieser Stadt ergriffen worden.

    Zwei der Mauerbilder fallen aus diesem Themenkreis heraus. Es sind die beiden Arbeiten, in denen die Menschenströme nach der Öffnung der Mauer gezeigt werden, expressiv, überwältigend. Es war genau so, wie in diesen Bildern dargestellt. Eine gesichtslose Masse blau gekleideter Menschen (Jeansjacken und Jeanshosen) strömte in den westlichen Teil der Stadt, teilweise auf der gesamten Fahrbahnbreite der Straßen, so dass es nicht einmal mehr möglich war, diese mit Kraftfahrzeugen zu benutzen. Erst im Gespräch mit dem Einzelnen wurde aus dem Bestandteil der Masse wieder ein Individuum.

    Die Bürger der DDR kamen - wie sollte es auch anders sein - genau so vergesellschaftet im Kollektiv nach West-Berlin, wie sie in der DDR gelebt haben. Obwohl Wolfgang Friedwagner dieses Erlebnis, als er sich einige Jahre später in Berlin aufhielt, nicht mehr gehabt haben kann, hat er trotzdem das zugrunde liegende Phänomen exakt wiedergegeben.

    Hoffnungsfroh machen mich die restlichen Bilder der Ausstellung, die mit der Mauer nichts zu tun haben. Die Stadt hat sich niemals über die Mauer definiert. Diese war die offene Wunde in ihr, eine von vielen Wunden, die sich Berlin im Laufe der Geschichte zugezogen hat und möglicherweise zuziehen wird, sicherlich aber eine der schmerzhaftesten. Die „Mauerbilder“ sind zwar auch Bilder der Mauer, zeigen aber primär den Umgang der Berliner mit ihr.

    Gezeigt wird die Hochbahn in der Schönhauser Allee (Ost-Berlin), gezeigt werden dann zwei Bilder des Kurfürstendammes und der Tauentzienstraße sowie einige schnell und sicher hingeworfene Federzeichnungen – insgesamt zwei Dutzend Arbeiten; stolzes Ergebnis eines kurzen Berlinaufenthalts. Die Farbgebung kann unterschiedlicher nicht sein. Zwar hat das Bild aus Ost-Berlin (Schönhauser Allee in Pastell) nicht mehr die typischen Grautöne, die bezeichnend für diesen Staat waren; trotzdem strahlt die Arbeit die spezifische Ost-Berliner Stimmung aus. Die drei West-Berliner Bilder (allesamt Aquarelle) sind dagegen farbenfroher, der abendliche Ku-Damm und die Spiegelung des Brandenburger Tors beinahe explosiv. Mir persönlich gefallen diese vier Bilder besonders gut. Sie geben genau die Mischung von Dynamik und Melancholie wieder, die bezeichnend für diese, unsere Stadt ist.

    Wolfgang Friedwagner ist es gelungen, diesen Geist zu fassen und in seinen Arbeiten widerzuspiegeln.

    Ein Zeitzeuge aus Berlin

  • Zwei der Mauerbilder fallen aus diesem Themenkreis heraus. Es sind die beiden Arbeiten, in denen die Menschenströme nach der Öffnung der Mauer gezeigt werden, expressiv, überwältigend. Es war genauso, wie in diesen Bildern dargestellt. Eine gesichtslose Masse blau gekleideter Menschen (Jeansjacken und Jeanshosen) strömte (in der Nacht zum 10. November 1989) in den westlichen Teil der Stadt.

    Obwohl Wolfgang Friedwagner dieses Erlebnis, als er sich einige Jahre später in Berlin aufhielt, nicht mehr gehabt haben kann, hat er trotzdem das zugrunde liegende Phänomen exakt wiedergegeben.

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